Kein Mitleid, jedoch Mitgefühl!
Durch eine nicht alltägliche Begegnung konnten die Schüler im dritten Jahr der Altenpflegeausbildung der Emil-von-Behring-Schule ihr berufliches Handeln im direkten Erfahrungsaustausch mit Frau Conny Pabst festigen.
Durch eine Begegnung der unvergesslichen Art konnten wir, die Schüler der Abschlussklasse 3BFA3 mitsamt unserer Lehrerin, einen durchaus unvergesslichen Menschen kennen lernen, der unser Blickfeld nicht unerheblich geweitet hat.
Eine Frau im mittleren Lebensalter, die aufgrund einer seltenen Muskelerkrankung seit ihrem 19. Lebensjahr im Rollstuhl sitzt, seit einiger Zeit selbst diesen gegenwärtig nicht mehr nutzen kann, sondern sehr viel Zeit im Bett verbringen muss. Von dort aus ihren Alltag organisieren und bewältigen muss. Eine schleichende Muskelschwäche hat mehr und mehr von ihr Besitz ergriffen. Sie hat dazu geführt, dass sie die körperliche Bewegungsfähigkeit schlichtweg nicht mehr einzusetzen vermag, sogar Arme und Beine nicht mehr anheben kann.
Deshalb benötigt sie zusätzlich "fremde" Hände, die all das für sie ausführen, was sie selbst nicht mehr kann. Selbstbestimmt und eigenverantwortlich hat sie in der eigenen Häuslichkeit leben gelernt – trotz künstlicher rund-um-die-Uhr Beatmung.
Das war bis zu unserer gemeinsamen Begegnung für uns nicht vorstellbar. Darüber hinaus hat sie uns mit einer unverhofften Großzügigkeit überrascht, sogar die Tür zu den eigenen vier Wänden für uns Dreißig gastfreundlich geöffnet.
„Ich brauche kein Mitleid, sondern Verständnis für meine Situation, das Mitfühlen anderer, ist etwas Kostbares und ich bin froh, dass mir das geschenkt wird“, betont sie überzeugt. „Durch mein Handicap bin ich dazu erzogen ganz viele Sachen im Kleinen zu entdecken, ich muss mir sozusagen andere Nischen suchen.“
Und wir erfahren, dass für uns Alltägliches bei Frau Pabst zum Abenteuer wird, kleine Dinge ganz groß rauskommen. Auf die Frage, wie sie den Alltag und das Leben überhaupt bewältige, ob sie eine Beziehung zu Gott habe, entgegnet Frau Pabst überzeugt, dass sie nicht mehr hier wäre, wenn es Gott nicht gäbe, „es gibt eine Macht, die alles lenkt!“
Angesichts ihrer unsagbar schweren Situation erstaunen uns ihre Worte. Keine angesagte Trauerstimmung, keine gebetsmühlenhafte „Warum-Ich-Fragen“, kein Selbstmitleid beherrschen den Alltag. Was hervorsticht ist eine garantiert lebensbejahende Einstellung, ein ungebrochener Lebensmut und eine überzeugende Offenheit, wenn auch mitunter immer wieder schwierige Lebenslagen überwunden werden müssen.
Darüber hinaus erkennen wir, dass Frau Pabst eine sehr gut informierte und lückenlos aufgeklärte Klientin ist, die sich als Vertragspartnerin eines innovativen Dienstleistungsunternehmens versteht. Denn ein selbstbestimmtes Leben unterstützt ein ambulanter rund-um-die-Uhr Intensivpflegedienst, der sie als Auftraggeberin ernst nimmt. Ein Dienstplan, der ihre Wünsche berücksichtigt und ein Mitsprachrecht bei der Auswahl der eingesetzten Mitarbeiter werden realisiert.
Eine 24-Stunden-Versorgung erfordert eine gute Balance zwischen Nähe und Distanz. „Um dies zu erreichen, braucht es den Willen, sich auf Beziehungen einzulassen, Stimmungen wahrzunehmen, sie richtig einzuordnen“ bekräftigt Frau Pabst. Immerhin muss sie ihre Privatsphäre unausweichlich mit vierzehn Pflegekräften teilen, die sie in mehrstündigem Rhythmus in ihrer Situation ganzheitlich unterstützen.
Das Alleinsein wird somit „als Rückkehr zur Realität“ erlebt. „Unbedingt erforderlich ist eine offene Zusammenarbeit untereinander.“ Mitunter bedeutet das auch kritische Rückmeldung geben und ertragen. Frau Pabst besticht nämlich nicht nur durch einen geschulten Blick. Sie ist darüber hinaus durch ihr besonderes Los zu einer unschlagbaren Expertin der pflegerischen Praxis geworden.
Das wird unsererseits sicherlich dazu beitragen, zukünftig noch sensibler vorzugehen. Denn wir haben nicht nur Kenntnisse über mögliche Fehlerquellen aus erster Hand erfahren. Wir haben auch eine Vorstellung darüber bekommen, was es heißt trotz widerwärtiger Handicaps „normal“ zu bleiben. Vielen Dank Frau Pabst!
Zu guter Letzt:
Frau Pabst benötigt dringend eine neue und spezielle „Antidekubitusmatratze“ und ein spezielles "Antidekubitussitzkissen" für ihren E-Rollstuhl. Als Teil der Solidargemeinschaft bitten wir hier um Gehör, um tatkräftige Unterstützung mit sofortiger Wirkung!
Melitta Bolek und die Schülerinnen und Schüler der 3BFA3
weiter zum Fotoalbum