Vorstellungen...
Ich bin seit Mai 2003 beatmet und nicht nur, dass sich mein Leben seither grundlegend geändert hat, auch ich habe mich in diesen "beatmeten" Jahren ziemlich verändert..
Es war ein großer Schock im April 2003 auf der Intensivstation zu mir zu kommen und erleben zu müssen, nicht mehr wirklich allein atmen zu können.
Ich habe eine nicht sehr häufige Art von progressiver Muskeldystrophie, die mich laut Fachärztediagnosen erst in einem Lebensalter zwischen 40 und 50 Jahren rollstuhlabhängig machen würde und niemals Herz- und Lungenfunktion beeinträchtigen sollte.
Ich sitze jedoch schon seit meinem 19ten Lebensjahr im Rollstuhl und muss nun seit 2003 beatmet werden. Inzwischen habe ich meinen 50sten schon gefeiert und nach dem 13. April 2003 kann ich es oft gar nicht fassen, dass mir weiterhin noch ein so gutes Leben geschenkt wird.
Ich hatte großes Glück, dass ich im Krankenhaus von einem sehr menschlichen innovativen Oberarzt mitbehandelt wurde, der sich um Möglichkeiten bemühte, dass ich trotz Beatmung wieder nach Hause gehen konnte und dort von Intensivpflegepersonal versorgt werde.
Übers Internet hat er damals einen ambulanten Pflegedienst in München gefunden, der sich auf Heimbeatmung spezialisiert hatte und von dort erfahren, dass von ihm vor kurzem eine Niederlassung in Böblingen eröffnet wurde. Der Kontakt mit dem Niederlassungsleiter wurde hergestellt und letztendlich wurde über ihn mit mir ein Pflegevertrag geschlossen und ich wurde die erste Klientin der neueröffneten Niederlassung.
Das hat der liebe Gott fein für mich arrangiert und das Zusammenwirken so vieler für mich wertvoller "zufälliger" glücklicher Umstände lässt mich, in Momenten mit mir ganz allein, sehr demütig werden.
Ich habe in den letzen Jahren mit Beatmung die wichtigsten Erfahrungen meines Lebens sammeln dürfen.
Ich habe, seit ich beatmet bin, viele Menschen kennengelernt. Menschen, denen ich zum ersten Mal begegnete und viele, die ich schon seit langem kannte oder zu kennen glaubte.
Ich weiß um die Vielschichtigkeit von einzelnen Beziehungen, auch um meine zu meiner eigenen Person.
Ich mag sehr gern mit Menschen zusammen sein und ,wie auch bei mir selbst, ihre Stärken und Schwächen erfahren. Ich finde menschliche Beziehungen höchst interessant und finde, es ist ein großes Geschenk, einen Menschen langsam immer besser kennenzulernen.
Dass dies so nicht immer geht, erfuhr ich in meiner 24-Stunden-rund-um-die-Uhr-Versorgung immer mal wieder. Das war für mich immer sehr belastend und ich fühlte mich von der immer wieder auftretenden Situation massiv unter Druck gesetzt.
In die Situation, die ich hier erwähne, kam ich, wenn eine neue Pflegefachkraft in mein mich betreuendes Pflegeteam aufgenommen werden musste.
Dies passierte, wenn wieder jemand aus dem Team ausschied. Mal auf Wunsch des Mitarbeiters / der Mitarbeiterin, mal auf meinen Wunsch, mal aus organisatorischen, persönlichen, privaten oder beruflichen Gründen. Warum, ist eigentlich unwichtig, aber daraus resultierte eben, dass eine neue Pflegefachkraft ins Team aufgenommen werden musste, damit meine Versorgung aufrecht erhalten werden konnte.
In meinem Alltag hieß das, dass mir über meinen Ansprechpartner vom Officemanagement des Pflegedienstes avisiert wurde, dass sich ein/e neue/r Mitarbeiter/in vorstellen wird. Ich habe den Namen der neuen Pflegekraft und Datum sowie Uhrzeit erfahren und wußte so, wann sie zu mir nach Hause kommt und sich mir vorstellt.
Wenn ich das alles wußte, kam ich unterbewußt immer hochgradig in Stress. Eigentlich musste die Vorstellung einfach nur positiv laufen, dann wäre das prima, denn ich brauchte noch zusätzliches Pflegepersonal. Aber was mache ich, wenn nicht?
Ich habe mich seit den Anfangszeiten meiner Versorgung ziemlich verändert , bzw. bin mit der Zeit wieder mehr selbstbestimmt geworden. Am Anfang war ich selbstlos der Situation ergeben und habe jede neue Pflegekraft uneingeschränkt dankbar und kritiklos angenommen.
Nach Änderung meiner persönlichen Lage, die Psychopharmaka wurden abgesetzt, mein Kopf konnte wieder wie früher denken, habe ich mich langsam wieder selbst gefunden und auch wieder eigenen "Lebenswillen" und daraus resultierende Ansprüche an mein Leben entwickelt.
Das Gefühl, dass ich diese nur mit Hilfe anderer Menschen ausleben kann, ertrage ich in negativen Stimmungslagen kaum. Man braucht zu diesen Menschen absolutes Vertrauen und muss sie kaum begrenzt in die eigene Intimsphäre eindringen lassen.
Ich habe keine Zeit, den anderen wirklich etwas näher kennenzulernen, ich kann mich mit ihm ca. 1 - 2 Stunden unterhalten, ein bißchen was über ihn erfahren. Ich muss mich aber danach entscheiden, ob ich mir vorstellen kann, es mit dieser neuen Pflegekraft zu versuchen und wenn diese sich das auch vorstellen kann, wird sie in den Pflegedienstplan bei mir eingeteilt.
Das heißt, beim nächsten Wiedersehen, das wird in ihrem ersten Dienst bei mir sein, wird sie mich so nah kennenlernen, wie es vergleichbar nach so kurzem Kennenlernen nur bei einem One-night-stand stattfindet.
Nackt entblößt, bei der Verrichtung sehr persönlicher menschlicher Bedürfnisse. Mein persönliches Schamgefühl muss ich eigentlich ausschalten, leider habe ich seither den Schalter dafür noch nicht gefunden und es ist nicht zwingend so, dass man durch körperliche Behinderung und künstliche Beatmung Schamgefühl verliert.
Natürlich lernt man mit der Zeit, diese immer wieder auftretende Situation zu handeln, weil man es muss. Aber wirklich daran gewöhnen kann man sich nicht.
Ich wünsche mir einfach bedeutend mehr Zeit, um sich vor dem ersten Dienst kennenzulernen, das wäre für beide wesentlich angenehmer.
Ganz selten war das auch schon mal möglich und es hat die Anfangssituation angenehm entkrampft.
Ich bin hier zuhause schließlich nicht im Krankenhaus, wo man meistens seine Selbstbestimmung an der Pforte abgeben muss, man das Pflegepersonal, das einen meist nur für eine kurze absehbare Zeit betreut, später nie wieder sieht...
Ich wünsche mir ein Pflegeteam aus so wenigen, wie nötigen Personen, mit denen ich eine gute Beziehung aufbauen kann und hoffe natürlich auf ein Team, dass mich möglichst den Rest meines mir noch verbleibenden Lebens versorgt.