Viele Menschen, wie ich, die rund um die Uhr auf die Assistenz und Pflege von anderen Menschen angewiesen sind, wünschen sich keinen Urlaub, keine Auszeit mit der Familie, sondern schlicht und einfach einmal allein zu sein.
Denn allein zu sein kann ab und zu sehr erholsam sein. "Im Zimmer für sich allein" - das ist es. Eine Rückzugmöglichkeit, um dort in Ruhe Pläne, Wünsche und Ideen zu sichten, zu ordnen und zu überdenken.
Bei ständiger Abhängigkeit von anderen Menschen gestaltet sich das jedoch als extrem schwierig und doch ist es möglich. Dank der Technik, gibt es Möglichkeiten, wenigstens allein in seinem Zimmer zu bleiben und dennoch nicht ohne Hilfe bleiben zu müssen, wenn man sie benötigt. Moderne Kommunikationsmittel geben uns doch weitgehend die Möglichkeit, um Hilfe zu „rufen“, wenn sie notwendig ist.
Diese Möglichkeit besteht wiederum auf der anderen Seite ebenso. So wie ich nach Hilfe "rufen" kann, so kann der Pflegende einfach zu mir kommen und mich ansprechen. Das passiert mir oft. So wie ich ständig jemand ansprechen kann, wird das von einigen der Pflegenden umgekehrt genauso genutzt.Ich kann mich allein an den PC zurückziehen, dennoch wird das oft nicht so gesehen. Ich bin da und somit auch ansprechbar...
Viele Menschen in unserer hoch technisierten Gesellschaft kennen den Wunsch nach Alleinsein in ähnlicher Form, doch empfinde ich ihre Abhängigkeiten anders. Sie sind nicht zwingend Tag und Nacht auf andere Menschen lebensnotwendig angewiesen.
Dennoch ist es auch für viele andere Menschen ein Luxus Zeit für sich zu haben. Viele Menschen, wie z.B. Manager, Hausfrauen, Sekretärinnen oder Menschen, die den ganzen Tag über unter Menschen agieren oder Pflegende, die sich bis zu 12 Std. pro Tag, wie auch in meinem Falle, um einen intensivpflegebedürftigen Menschen kümmern, gelangen in unserer „kommunikativen“ Zeit häufig an die Grenzen der Belastbarkeit. Sie sehnen sich genauso wie ich nach Freiraum.
Viele der Menschen, die 24 Stunden rund um die Uhr auf Hilfe und Pflege angewiesen sind, empfinden ganz ähnlich, doch ihre Abhängigkeit von Anwesenden ist immer gegenwärtig und unabänderlich.
Wir sollten wissen, allein zu sein hat auch eine heilende Wirkung. Nur in diesem Zustand ist es möglich, eine Innenschau zu betreiben. Neue Wünsche, Visionen, Ideen und Perspektiven für sich zu ordnen. Um sie dann wieder zu kommunizieren. Nur so können wir in unserer Vergangenheit zukunftsweisende Aspekte finden und zu neuen Einsichten finden.
Leider ist für viele in meiner Situation allein zu sein meist nur mehr im Schlaf möglich.Diese Vorsichtsmaßnahme hat sich die Natur einfallen lassen: Sie hat uns mit Schlaf gesegnet, der idealerweise nächtens konsumiert wird. Es ist für viele die einzige Möglichkeit, allein zu sein, in Träume einzutauchen, die cerebrale Festplatte von allen Spams zu reinigen. Doch auch der Schlaf wird von vielen in meiner Situation verkürzt genutzt, denn bei allem Tun auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, braucht viel mehr Zeit und ein zu langer Schlaf nimmt einem gefühlt noch mehr kostbare Stunden... - 5 bis 6 Stunden Schlaf müssen oftmals reichen, alles andere ist subjektive gefürchtete Zeitverschwendung.
Das Bedürfnis auch mal allein zu sein verschwindet nie, auch dann nicht, wenn wir es verdrängen. Denn der Körper pocht auf sein Recht. Irgendwann muss richtig ausgeschlafen werden. Das ist eine ungeplante Flucht, verursacht durch eine unbewusste Reaktion des Körpers auf Reizüberflutung.
Den ganzen Tag nie allein... abends lassen wir uns dann oft noch von unserem Lieblingstranquilizer, dem Fernsehen „beruhigen“. Wir verbringen oft Zeit davor, um nicht mehr kommunizieren zu müssen. Konsumieren mehr oder weniger konzentriert oder in eigenen Gedanken versunken das oft mittelmäßige Programm.
Kein Wunder, dass man irgendwann unbedingt einmal allein sein möchte.
Wer das nicht schafft, läuft Gefahr, dass er unweigerlich durch zu große Nähe erstickt wird. Das muss in Beziehungen in der Pflege genauso dringend vermieden und unabdingbar kommuniziert werden, wie in jeder anderen auch.
Unser ganz persönlicher Freiraum ist notwendig. In der Partnerschaft, im Beruf, in der Freizeit und auch in der Pflegesituation. Schön wäre, wenn viele in diesem Bereich dieses Problem bzw. die Notwendigkeit des ab und zu Alleinseinmüssens erkennen würden und ihren Teil dazu beitragen, dass es wenigstens bedingt stattfinden kann.